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Energiegeschichten

Photovoltaik: Neue Energiewelt im Dalbeloch

Das «Michael-Alder-Brüggli» über dem Dalbedyych.
Das «Michael-Alder-Brüggli» über dem Dalbedyych: Beim Bau entdeckten sie auf der anderen Seite des Dyychs den Keller eines nicht mehr existierenden Hauses und konnten ihn als Sitzplatz nutzen. (Fotos: Timo Orubolo)

Das St. Albantal, im Volksmund Dalbeloch genannt, hat eine jahrhundertealte Tradition in der gemeinsamen Energienutzung. Was früher Mühlen, Wasserräder und Wasserrechte waren, ist heute ein moderner Zusammenschluss zum Eigenverbrauch (ZEV) oder eine Lokale Elektrizitätsgemeinschaft (LEG).

Während Jahrhunderten klapperte und rumpelte und rauschte und klopfte es tagein, tagaus im Dalbeloch. Wasserräder trieben Getreidemühlen, Papiermühlen, Hadernstampfen, Wasserpumpen oder Hammerschmieden an. Das Quartier direkt am Rhein wurde an die Energie und für die Energie gebaut.

Energie fürs erste Basler Industrie und Gewerbequartier

Ab dem 14. Jahrhundert leitete der erste Kanal Wasser von der Birs Richtung Stadt. Die Mühlen siedelten sich hier an, an der steilen Geländestufe zum Rhein, im ersten Industrie- und Gewerbequartier von Basel. Man kann sich heute noch vorstellen, welches Leben in den engen Gassen herrschte, welche Töne, welche Anstrengung, welcher Gestank. Und vielleicht verstecken sich die Geister und Kobolde jener Zeit noch immer irgendwo unter einer Brücke oder in einem Kellergewölbe.

David Alder ist hier aufgewachsen, in einem Mehrfamilienhaus, das sein Vater, der Architekt Michael Alder, und einige Miteigentümer in den 1980er-Jahren vor dem Zerfall gerettet haben. Das Haus steht direkt am vorderen Teich, dem westlichen Arm des St. Albanteichs oder baslerisch Dalbedyych. Denn in Basel ist ein Teich kein Weiher, sondern ein Gewerbe- oder Mühlenkanal.

Photovoltaikanlage auf dem Mehrfamilienhaus im St. Albantal
Das Gebäude im St. Albantal wurde ursprünglich als Arbeiterunterkunft und zum Trocknen von Papierbahnen erstellt. Heute ist es ein Mehrfamilienhaus mit Photovoltaikanlage, die einen grossen Teil des Stromverbrauchs deckt.

12 Mühlwerke, 33 Wasserräder

Das Haus St. Albantal 42 aus dem Jahr 1850 war ursprünglich eine Arbeiterunterkunft und Trocknungshalle für Papier. Es gehörte zur Papierfabrik Thurneysen, die ein paar Dutzend Meter weiter unten am Kanal lag. Zur Entstehungszeit des Hauses brummte im Dalbeloch die Energie: 1823 zählte man am Dalbedyych zwölf Mühlwerke.

Jeweils zwei Werke standen sich am Kanal gegenüber, und zwischen ihnen liefen insgesamt 33 Wasserräder mit Durchmessern zwischen 3,5 und 5,5 Metern, dicht hintereinander, ein grosses Rumpeln, Poltern, Spritzen. Der Geist des Dalbelochs, die hart arbeitenden Kobolde, die man nur hörte, aber nie sah. Die grossen Holzräder wirbelten das Wasser so hoch hinauf, dass die Mauern der Häuser nie trockneten. Jenen Privilegierten, die direkt daran wohnten, diente der Dyych auch als Kanalisation. Und so wirbelten die Wasserräder auch allerhand Unappetitliches meterhoch mit.

Das perfekte Wohnhaus

Doch 150 Jahre später war die Industrie gross geworden und ins Klybeck gezogen. Im alten Mühlenquartier hatten alternde Handwerker ihre kleinen Werkstätten, das alte Leben war nach und nach verschwunden und neues noch nicht gekommen. Irgendwann war da nur noch Zerfall.

8 Smartmeter Mehrfamilienhaus im St. Albantal
8 Smartmeter messen heute den Stromverbrauch im Haus. Der alte Rundsteuerempfänger dagegen hat ausgedient. Strom soll heute vor allem tagsüber verbraucht werden.

So war das Haus mit der Nummer 42 im St. Albantal vor seiner Rettung wie viele andere Gebäude im Dalbeloch dem Einsturz nahe. Michael Alder konnte mit ein paar Mitstreitern die mittlerweile als Lager genutzte Ruine im Baurecht übernehmen und baute ein ideales Wohnhaus – mit hellem Treppenhaus, damals neuen individuellen Abstellräumen und Waschküchen auf den Etagen statt im Keller.

Fast wie in der Gartenbeiz

Die Holzständerkonstruktion der Obergeschosse war für Papier und nicht für schwere Wohngeschosse gebaut und musste aufwändig verstärkt werden. Im Parterre gibt’s eine gemeinsam nutzbare Küche, von der sich grosse Türen auf eine als gemeinsame Terrasse genutzte Brücke über dem Dyych öffnen.

«Wenn wir mit unseren Nachbarn hier draussen sitzen, kommen immer wieder Leute vorbei, die glauben, das sei hier eine lauschige Beiz», lacht David Alder. Auch 40 Jahre nach dem Bau erscheint das Haus moderner und innovativer als viele neuere Wohnneubauten.  

Wasserrad im St. Albantal
Die alte Energiewelt im St. Albantal mit ihren Mühlen und Wasserrädern ähnelte in vielem dem modernen System zur gemeinsamen Energienutzung und -erzeugung, wie sie das neue Stromgesetz vorsieht.

Von den Holzrädern zu den Solarpanels

Mit einer grossen Solaranlage auf dem Dach schreiben David Alder und seine Miteigentümer in ihrem Haus die Energiegeschichte des Dalbelochs weiter – von den riesigen Holzrädern, die aus modrigen, stinkenden Stoffhadern Papier machten, über die kohlegefeuerten Dampfmaschinen, die in der nahen Maschinenfabrik Merz beim Letziturm gebaut wurden. In jener Fabrik entstanden später Oerlikon-Bleibatterien, bis sie dann 2005 einer Wohnüberbauung weichen musste. Und nun kommt Basels Energiequartier in der modernen solarelektrischen Welt an.

Vom Dach des ehemaligen Arbeiter- und Trocknungshauses her führen dicke Gleichstromleitungen in den Keller zum Wechselrichter, der aus dem Gleichstrom der Solarpanels Wechselstrom macht. Das alte Fenster, durch das die Kabel führen, war früher wohl mal ein Kohleabwurf, der Keller ein Kohlekeller.

Die alte Energiewelt trifft auf die neue

Heute lebt hier unten die moderne Stromzukunft. Am Stromtableau hängen acht nagelneue moderne Smartmeter – und daneben ein mürrisch aussehendes altes Gerät, das sich der Zeit zu verweigern scheint. «Landis&Gyr» steht drauf und «Rundsteuerempfänger» – ein Konstrukt, das aussieht wie ein grimmiger Kobold inmitten einer ihm fremd gewordenen modernen Energiewelt.

Photovoltaikanlage auf dem Mehrfamilienhaus im St. Albantal
Am St. Albanteich trifft Geschichte auf Moderne: Das 1850 erbaute Arbeiterhaus nutzt heute Solarstrom im Zusammenschluss zum Eigenverbrauch.

Entwickelt ab den 1920er-Jahren, werden mit der Rundsteuerung analoge Schaltsignale direkt über die Stromleitung verschickt. Sie schalteten Boiler und Waschmaschinen tagsüber aus und nachts ein, damit der sonst schlecht verkäufliche Nachtstrom aus Laufwasserkraftwerken und Atomkraftwerken gebraucht werden konnte. So sollten sich diese energiehungrigen Geräte nicht über den Mittag mit den ebenfalls energiehungrigen Kochherden und Backöfen um den Strom streiten. 

Solarstrom für alle Bewohner

Die Photovoltaikanlage (PV-Anlage) auf dem Dach des Mehrfamilienhauses am St. Albantal 42 ist in einem sogenannten ZEV organisiert, einem Zusammenschluss zum Eigenverbrauch. Die Solaranlage macht Strom für alle Bewohner im Haus – eine gemeinsame PV-Anlage mit individueller Stromabrechnung. Theoretisch hat IWB damit nur noch einen Kunden für jenen Strombezug, den die eigene Produktion nicht decken kann.

Die Abrechnung kann theoretisch intern im Haus gemacht werden. In diesem Fall hat die Eigentümerschaft aber IWB mit der Abrechnung beauftragt. Diese jongliert nun mit den acht Zählern im Keller und schickt allen Bewohnern individuelle Rechnungen für jenen Stromverbrauch, den die PV-Anlage nicht deckt. «Man kann sich durchaus überlegen, das auch selbst zu machen», sagt David Alder. «Wahrscheinlich sähe dann die Rentabilitätsrechnung besser aus, allerdings wäre der Aufwand auch grösser.»

Heimliche Stromfresser: verschachtelt gebaute Elektroboiler

David Alder hat allen Bewohnern mitgeteilt, sie sollen ihren Stromverbrauch möglichst auf den Tag legen – mit Waschmaschinen und Geschirrspülern. Sie machen alle mit, obwohl viele seit Jahrzehnten die alte Energiewelt verinnerlicht haben: Man wäscht nur in der Nacht, weil dann der Strom billiger ist. Das ist vorbei. Günstigen Strom gibt’s jetzt vor allem tagsüber vom eigenen Dach.

Allerdings sieht David Alder auf der Monitoring-App nachts noch immer grosse Ausschläge. Er kann sich diese Verbrauchs-Peaks nur mit den 40 Jahre alten Elektroboilern erklären. Die gibt es in jeder Wohnung, und sie sind so verschachtelt verbaut, dass sie nur mit gröberen Baumassnahmen auszuwechseln wären.

David Alder

David Alder

Die Bewohner machen alle mit. Sie verlegen ihren Verbrauch in den Tag - obwohl viele seit Jahrzehnten die alte Energiewelt verinnerlicht haben: Man wäscht nur in der Nacht.

Sparpotenzial: 40'000 Kilometer mit dem Elektroauto

Würden die alten Heizstab-Boiler durch moderne Wärmepumpenboilern ersetzt, könnte man mit dem gleichen Stromverbrauch eines jeden einzelnen Geräts zusätzlich zum warmen Wasser noch 40 000 Kilometer jährlich mit dem Elektroauto fahren. Doch bis das so weit ist, sollen sie wenigstens nur tagsüber mit Sonnenstrom Wasser heizen.

Das müssten die Boiler auf Knopfdruck können, doch alles Knopfdrücken nützt nichts. Der Knopf verweigert den Dienst. Der Dienstverweigerer sitzt allerdings im Keller. Es ist der Kobold aus der alten Zeit, jener störrisch-grimmige Rundsteuerempfänger, der eisern in der Energiewelt von 1991 lebt. Er schaltet die Boiler über Mittag aus, Solarenergie hin oder her. Doch seine Tage sind gezählt: Er wird demontiert.

Panels halten die Dachwohnung kühl 

So hat jede neue energetische Entwicklung Neben- und Zusatzwirkungen. Eine davon zeigt sich in David Alders Dachwohnung. Unter dem roten Ziegeldach wurde es bisher jeden Sommer sehr warm. Die neuen Solarpanels sind nun aber auf Aluschienen mit einem deutlichen Abstand zu den Ziegeln montiert. Diese Montageart beschattet das Dach und provoziert einen stetigen Luftstrom zwischen Panels und Ziegeln. Die Dachwohnung bleibt so an heissen Sommertagen spürbar weniger warm als bisher. Diese kühlende Wirkung ist ähnlich wichtig wie der Stromertrag.

Unerwartete Anwendungen für den Dalbedyych

Solche Prozesse gibt’s im Dalbeloch seit Jahrhunderten. Es fanden sich immer mehr unerwartete praktische Anwendungen für den Dalbedyych. Kaum floss das Wasser, trieb es nicht nur Mühlen an, sondern pumpte auch Quellwasser in höher gelegene Wassertürme, diente als Transportweg, um Bauholz in die Stadt zu flössen, und als Abwasserkanal für Fäkalien und Industrieabfälle.

Ab 1850 begannen Wasserturbinen im Teich, Strom zu produzieren. Energie wurde in Kupferkabeln transportierbar, nicht nur in Wasserkanälen. Von da an mussten neue, moderne Seidenbandwebereien nicht mehr direkt am Wasser stehen. 

Das Dalbeloch als Vorbild für die moderne Energiewelt

Das Dalbeloch als Quartier ist damit Vorbild und Veranschaulichung für die im neuen Stromgesetz ab 2026 möglichen lokalen Energiesysteme: Die Doppelmühlen mit ihren Wasserrädern wären nach dem neuen Gesetz ein ZEV, ein Zusammenschluss zum Eigenverbrauch.

Tullio Papa von Planeco und David Alder vor seinem Mehrfamilienhaus im St. Albantal
David Alder hat mit der Planung und dem Bau der neuen PV-Anlage die IWB-Tochter Planeco und ihren Planer Tullio Papa beauftragt. Als willkommenen Nebeneffekt reduzieren die Solarpanels im Sommer die Aufheizung von Alders Dachwohnung.

Die dank einer Turbine im Teich elektrisch angetriebenen Webereien abseits des Wassers waren in dem Sinne ein virtueller ZEV, ein vZEV. Das ganze Quartier mit der Dyychkorporation und dem Dyychmeister, die alles instand halten und die Wasserrechte verwalten, entspricht in der modernen Energiewelt einer Lokalen Elektrizitätsgemeinschaft (LEG) – mit Wasser als Energieträger. 

Erweiterte Vertriebsmöglichkeiten dank vZEV und LEG

So könnten David Alder und seine Miteigentümer ihren Strom in einem vZEV auch an ihre Nachbarn auf der anderen Strassenseite verkaufen und dabei das öffentliche Netz nutzen. Und wenn auf weiteren Dächern im Quartier Photovoltaikanlagen gebaut werden, könnte sich das ganze Quartier zu einer LEG mit Produzenten und Konsumenten zusammenschliessen.

 Damit zeigt das St. Albantal sowohl die Vergangenheit wie auch die Zukunft der Energiewelt. Dazu ­gehören auch ein paar Kobolde, die falsche Signale senden – zumindest so lange, bis man sie in ihren Kellerverstecken entdeckt.