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Im Gespräch

Wie schalten die Gemeinden auf erneuerbare Wärme um?

Porträt von Christoph Niederberger, Direktor des Schweizerischen Gemeindeverbands
Christoph Niederberger ist Direktor des Schweizerischen Gemeindeverbands SGV. (Foto: Nicole Hametner)

Energiewende ist ein grosses Thema. Realität ist sie aber auch im Kleinen bei den Gemeinden. Wie das Gespräch mit Christoph Niederberger, Direktor des Schweizerischen Gemeindeverbands, zeigt.

Herr Niederberger, die ganze Schweiz redet gerade über Energiepolitik. Allerdings richten sich dabei alle Augen auf Bern und Brüssel. Wie fühlt sich das als Gemeindevertreter an?

Danke, ich fühle mich gut (lacht). Im Ernst: Es ist normal, dass bei Entscheiden von grosser Tragweite vor allem die politischen Machtzentren im Fokus stehen. Dabei besteht ganz grundsätzlich immer etwas die Gefahr, dass in Bundesbern sehr ambitionierte Ziele herausgegeben werden, für deren konkrete Umsetzung dann in erster Linie die Gemeinden zuständig sind. In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns. Das sage ich vor allem als Vertreter des Schweizerischen Gemeindeverbands, der die Gemeinden auf Bundesebene vertritt. Etwas anderes ist es, wenn ich die Sicht einer Gemeinde einnehme. Dort lautet die Frage noch viel deutlicher: Wie sollen wir das schaffen?

Das heisst, die Gemeinden bräuchten mehr Hilfe bei der Energiewende?

Die Gemeinden haben ihren festen Platz in der schweizerischen Energiepolitik und unterstützen seit Jahren still, aber konkret beispielhafte Energieprojekte. Das können Wärmeverbünde sein oder das Gebäudeprogramm, das sie gemeinsam mit den Kantonen betreiben, oder Projekte im Rahmen des Energiestadt-Labels, welches von Kantonen, Städten und Gemeinden getragen wird. Tatsächlich leben heute rund 60 Prozent der Schweizer Bevölkerung in Gemeinden mit Energiestadt-Label. Man kann den Gemeinden jedenfalls nicht vorwerfen, sie hätten das Thema Energieeffizienz verschlafen. Das Gegenteil ist wohl eher der Fall.

Und doch gibt es eine Diskrepanz zwischen dem Ziel und dem Status quo. Etwa, wenn man sich den Sanierungsgrad anschaut oder die Emissionen im Gebäudesektor. Wären da nicht die Gemeinden am Hebel?

Sie haben recht: Man kann nur besser werden, was Gebäudesanierungen betrifft. Ich denke aber, dass wir gerade aufgrund der aktuellen Situation einen Sprung nach vorne erwarten können. Wer effizienter mit Energie umgeht, kann sparen. Das ist ein Urantrieb des ökonomisch denkenden Menschen. Man merkt ja, wie jetzt alle ihre Heizung umstellen wollen. Aber neben der individuellen gibt es auch die politische Dimension: Die Energiewende ist noch nicht überall im Gemeindereglement angekommen. Diese Prozesse sind langwierig. Es hängt oft auch an Personen, die teils jahrelange politische Überzeugungsarbeit leisten. Und dann schaut am Schluss eventuell eine Bauordnung heraus, die auch bei Sanierungen erneuerbare Energien fordert.

Christoph Niederberger

Direktor des Schweizerischen Gemeindeverbands SGV

Die Energiewende ist noch nicht überall im Gemeindereglement angekommen.

Sie sagen, die Energiewende sei noch nicht überall im Gemeindereglement angekommen. Andererseits gibt es den Druck, noch schneller zu dekarbonisieren.

Das ist eine grundsätzliche Frage, wie man politische Ziele erreicht. Ich kann da keine allgemeine Antwort geben. Es braucht sicher das berühmte Zuckerbrot und die Peitsche. Der Markt allein wirds nicht richten. Ich habe dennoch Mühe damit, wenn man Ziele immer enorm zeitnah definiert. Die Politik setzt gerne ambitionierte Ziele. Aber gerade im Baubereich sind sie zum Teil nicht realistisch, weil die Prozesse einfach viel Zeit brauchen. Das sehen wir bei anderen Themen wie der baulichen Verdichtung. Andererseits: Auch wenn die politischen Prozesse langsam sind, gibt es Entwicklungen, die unaufhaltsam sind. Die Elektromobilität ist das beste Beispiel dafür. Wenn die Autokonzerne beschliessen, voll auf diese Technologie zu setzen, ist das wichtiger als jede Gemeindeverordnung. Da schafft der Markt die Tatsachen, und der Staat muss sich nur noch um die Organisation kümmern. Ich habe ein gewisses Vertrauen in die Wirtschaft, die Entwicklungen schafft, die irgendwann einfach normal sind. Ich denke, das wird bei den Heizungen ähnlich sein wie bei der Mobilität. Aber vielleicht nicht in fünf Jahren, sondern in zehn.

Zeichnen Sie kurz ein Bild der Schweizer Gemeinden Ende 2022: Wo stehen diese bei der Energiewende?

Bei über 2100 Gemeinden – darunter grössere, kleinere, ländliche und urbane – fällt das Bild sehr divers aus. Meine Einschätzung ist, dass sich allgemein das Thema Energie weg von einer ideologisch geprägten politischen Diskussion hin zur Frage der praktischen Umsetzung bewegt hat. In den Gemeinden steht die Frage im Vordergrund, wie man die Energiewende konkret schaffen kann und nicht, ob man sie überhaupt schaffen will. Natürlich wird das «Wie» wiederum politisch diskutiert. Das ist auch gut so.

Statt zu diskutieren, kann man aber auch zeigen, was alles bereits getan wird, gerade im Bereich Wärme.

Ja, sicher: «Good practices» kann man gar nicht genug zeigen. Nehmen wir das Beispiel der Gemeinde Sarnen, das ich gut kenne. Da haben die Gemeinde, der Kanton und die Korporation Freiteil erkannt, dass viel Holz verfügbar ist, das man energetisch nutzen kann. Und so entstand ein Fernwärmenetz. Niemand wollte dort die Welt retten, es gab einfach die gute Idee und Leute, die sie umsetzen wollten. Inzwischen werden das Spital, die Verwaltung und grosse Teile des Dorfs mit umweltfreundlicher Energie versorgt. Ohne dass jemand die Energiewende gefordert hätte. Solche Beispiele zeigen mir, dass die Ideen auch vor Ort entstehen müssen.

Gibt es Muster, wie Gemeinden ihre Wärmeversorgung für die Zukunft rüsten?

Ein allgemeingültiges Rezept gibt es tatsächlich nicht. Jede Gemeinde steht vor einer anderen Ausgangslage. Gute Beispiele gibt es wie gesagt viele: Sarnen habe ich erwähnt, in Davos wird mittels Geothermie Wärme aus dem Grundwasser gewonnen und Neuhausen am Rheinfall nutzt die Wärme des Abwassers einer nahe gelegenen Kläranlage, um sie mit einem Wärmenetz auf Gemeindegebiet zu verteilen. Bei allen Projekten zeigt sich das Grundprinzip, dass es zur Umsetzung mehrere Beteiligte benötigt. Neben dem Staat sind das jeweils auch die Privatwirtschaft oder öffentlich-rechtliche Organisationen wie Genossenschaften, Korporationen oder Burgergemeinden.

Ist das ein Vorteil der Gemeinden: Man kennt die Beteiligten und deren Abhängigkeiten, kann weniger politisch taktieren?

Ja, diese Einschätzung teile ich. In der Gemeinde werden konkrete Probleme gelöst. Aber natürlich haben auch viele Gemeinden eigene Energiestrategien und Netto-Null-Ziele. Nur werden diese eben auch vor Ort umgesetzt. Und selbstverständlich gibt es in Gemeinden auch Politik und Ideologie. Aber eben auch viel Pragmatismus.

Gerade bei Gemeinden, die am Gasnetz hängen, ist der Umstieg nicht leicht. Gibt es Erfolgsrezepte, wie er gelingen kann?

Beim Energieträger Gas ist die Schweiz faktisch vollständig abhängig vom Ausland. Diese Abhängigkeit ist gerade in der aktuellen Krisenlage ein grundlegendes Problem. Eines, das mit dem Ukraine-Krieg erst wirklich offenkundig geworden ist. Vielen Menschen war schlicht nicht bewusst, was alles hinter dem Energieträger Erdgas steckt. Nun ist allen klar, dass auch hier mehr Unabhängigkeit erreicht werden muss. Ich glaube nicht, dass Gas ganz verschwinden wird; eine starke Reduktion wird es aber geben. Das ist das Gleiche wie mit den fossilen Energieträgern: Wir werden noch ein paar Jahre mit ihnen leben müssen, und in dieser Zeit müssen wir uns fragen, woher sie kommen. Wir erleben ja gerade die Diskrepanz zwischen energiepolitischen Wunschvorstellungen und der harten Realität der Versorgungssicherheit. Das Thema gibt es nicht erst seit dem Ukraine-Krieg. Der funktioniert – bei aller Tragik – wie ein grosser Katalysator. Covid war ein grosser Katalysator für die Digitalisierung. Genau so wird der Ukraine-Krieg einer für die Energiewende sein. Da bin ich überzeugt.

Vielerorts ist die Energieversorgung im Gemeindebesitz. Welche Rolle spielt das für die Energiewende?

Die aktuelle Lage zeigt eindrücklich: Bei der Energieversorgung sind heute alle stark untereinander vernetzt. Auch grosse Unternehmen, die Kraftwerke betreiben, sind auf das Verteilnetz der Kleinen angewiesen – und die Kleinen auf genügend Energie der Kraftwerksbetreiber. Um Ihre Frage zu beantworten: Wenn eine Gemeinde über ein eigenes, produzierendes Energieversorgungsunternehmen verfügt, erhöht dies zwar die eigene Versorgungssicherheit, autark ist man damit aber noch lange nicht. Ob die finanzielle Abhängigkeit die Energiewende vor Ort beeinflusst, ist sehr regionalspezifisch. Das merkt man an den sehr unterschiedlichen Auswirkungen der gestiegenen Energiepreise. Bis anhin ist alles gut gelaufen, alle haben mehr oder weniger Geld verdient. Jetzt muss man sich auf kommunaler Ebene vereinzelt grundsätzliche Fragen stellen. Gibt es Zusammenschlüsse, werden Werke verkauft? Es ist absehbar, dass es eine Strukturbereinigung geben wird.

Sie haben die Wärmeverbünde bereits erwähnt. Dank ihnen schaffen Gemeinden oft einen grossen Sprung in der Energiewende, gleichzeitig müssen viele am gleichen Strick ziehen. Wie gelingt das?

Da gibt es viele praktische Fragen. Gerade jüngst haben Städte, Gemeinden und Kantone zusammen mit dem Bund eine Charta zur Beschleunigung des Ausbaus thermischer Netze unterzeichnet. Die Charta verdeutlicht den gemeinsamen Willen, solche Verbundprojekte umzusetzen. Es ist ein Zufall, dass wir sie genau jetzt publizieren, denn die Absicht ist alt. Wärmeverbünde gibt es ja nicht nur in Städten, sondern auch in Dörfern oder Quartieren. Es ist wie gesagt eine Stärke der kommunalen Ebene, gemeinsam Projekte zu initiieren und umzusetzen. Thermische Netze sind eine gemeinschaftliche Lösung, noch dazu eine, die effizient funktioniert. Sie sind deshalb unterstützenswert. Immer öfter beobachte ich Menschen, die nur ihre eigene Energieversorgung optimieren, stolz die Fahne schwenken und sich nicht darum kümmern, wie es den anderen ergeht.

Christoph Niederberger

Direktor des Schweizerischen Gemeindeverbands SGV

Wärmeverbünde gibt es nicht nur in Städten, sondern auch in Dörfern oder Quartieren.

Im «Energie Reporter» von Energieschweiz kann man online Gemeinden vergleichen, unter anderem bezüglich des Anteils erneuerbarer Heizungen. Wie wichtig sind Daten für die Wärmetransformation?

Regelmässig aktualisierte Datensätze geben Aufschluss über eine Entwicklung. Dank ihnen wissen wir zum Beispiel, dass in Isenthal im Kanton Uri fast 90 Prozent der Gebäude mit erneuerbarer Energie heizen. Das ist sensationell. Insofern sind Daten entscheidend, vor allem wenn sie einen zeitlichen Vergleich erlauben. Allerdings bilden sie die Anstrengungen der Gemeinden im Energiebereich nur ab, sie ersetzen sie nicht. Wichtiger als Daten sind immer die Taten.

Gibt es einen Austausch zwischen den Gemeinden punkto Energieversorgung?

Da sind vor allem die Kantone stark gefordert, sie machen Anlässe und Beratungen. Wir stellen die Brücke zwischen Bund und Gemeinden sicher. Daneben gibt es die kantonalen Energieberatungen, die sehr wichtig sind, um Erfahrungen in die Gemeinden zu tragen. Denn es braucht den Wissenstransfer. Aber da gibt es heute so viele Möglichkeiten. Nur schon Google, so banal es klingt; es ist ja heute jedes Projekt im Internet verfügbar. Dann gibt es die Fachhochschulen oder den Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein SIA. Deren Expertinnen und Experten beraten die Leute vor Ort. Gemeinden haben solche Kompetenzen typischerweise nicht. Das haben nur grosse Städte und Kantone. Einige Gemeinden haben sogar ihre Buchhaltung ausgelagert.

Ihr Verband steht von Anfang an hinter der Energiestrategie 2050 des Bundes. War das eigentlich ein Herzensentscheid?

Ja. Der Schweizerische Gemeindeverband unterstützt auf Bundesebene die Energiewende weg von den fossilen hin zu erneuerbaren Energieträgern. Aktuell zeigt sich aber auch, dass die Versorgungssicherheit ebenfalls einen hohen Stellenwert geniessen sollte. Diese harte Erfahrung hat uns bisher gefehlt. Hier benötigt es allenfalls Anpassungen; ich sehe diese aber in erster Linie in zeitlicher Hinsicht. Wir müssen noch die richtige Geschwindigkeit bei der Energiewende finden.

Aktuell sehen wir eher eine Beschleunigung. Wird die Energiewende irgendwann wieder ausgebremst? Oder läuft sie mit verschiedenen Geschwindigkeiten?

Politisch gibt es einfach Prozesse, die man nicht ändern kann. Das sieht man an der aktuellen Diskussion im Parlament. Man argumentiert mit dem Energiemangel, aber diskutiert Massnahmen, die erst in zehn Jahren zum Tragen kommen. Momentan stecken wir etwas in der Falle: Wir merken, wie gut es wäre, wenn wir die neue Energiewelt schon hätten. Aber das schafft ein falsches Bild. Die schnellen Umsetzungsziele wecken falsche Erwartungen, und das kann schädlich sein. Es muss das Ziel sein, dass die Energiewende am Schluss in jedem Gemeindereglement steht. Aber der Weg dorthin ist unterschiedlich. Ich bin überzeugt: Am Ende kommts gut. Aber man muss auch Widerstände aushalten, und die politische Arbeit muss eben vor Ort stattfinden.

Zur Person

Christoph Niederberger ist Direktor des Schweizerischen Gemeindeverbands SGV. Der diplomierte Forstingenieur ETH ist Vizepräsident des Vereins «Myni Gmeind» und Mitglied im Vorstand der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren SODK, der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe SKOS und des Schweizerischen Verbands Kommunale Infrastruktur SVKI.