zum Main Content
Klimadreh
Magazin

Im Gespräch

Nachhaltige Architektur und Suffizienz im Städtebau

Dozentin Friederike Kluge blickt durch eine verspiegelte Fensterscheibe.
Prof. Friederike Kluge im Interview über nachhaltige Architektur Suffizienz im Städtebau. (Fotos: Dirk Wetzel)

Bauen für mehr Lebensqualität: Die Architektin und Dozentin Friederike Kluge verrät im Interview, wie sie das Prinzip der Suffizienz lebt, warum es Zielkonflikte zu akzeptieren gilt und was ihr Beruf mit Kreuzworträtseln zu tun hat.  

Frau Kluge, wir führen dieses Gespräch in Ihrem Architekturbüro an der Oetlingerstrasse in Basel. Dieses könnte auch eine Privatwohnung sein. 

Ja, im Moment befinden wir uns gerade im Badezimmer. (Lacht.) Bei der Planung war meinem Büropartner und mir wichtig, auch die zukünftige Nutzung mitzudenken. Aus diesem Grund haben wir es so konzipiert, dass man das zweistöckige Atelier mit wenig Aufwand zu Einzelbüros oder einer Wohnung umbauen könnte – dank einziehbaren Trennwänden und bereits installierten Strom- und Wasseranschlüssen. 

Den Umbau des Hinterhofbüros und ehemaligen Schuppens haben Sie nicht nur geplant, sondern Sie haben auch selbst Hand angelegt. Warum war Ihnen das wichtig? 

Das Projekt war sozusagen unser Modell, anhand dessen wir unsere Ideen im 1:1-Massstab testeten. Es war für uns sehr wichtig, nahe an der Baustelle zu sein. Unvorhergesehene Potenziale im Umbau hätten wir sonst gar nicht mitgekriegt. 

Hat dabei auch die Nachhaltigkeit eine Rolle gespielt? 

Auf jeden Fall, wobei wir es eher «Zukunftsfähigkeit» nennen. Ziel ist, ein langfristiges Leben auf diesem Planeten zu gewährleisten. Neben der flexiblen Nutzung betrifft das auch die Materialien, mit denen wir bauen. Wir haben möglichst viel der Substanz vom vorherigen Bau übernommen, konkret das Fachwerk, die Bruchsteinwände sowie die Geschossdecken. Letztendlich handeln wir nach dem Prinzip der Suffizienz: Je weniger wir neu bauen, desto besser. Dieses Gebäude hätte aufgrund seiner wenig hochwertigen Bausubstanz auch ein Ersatzneubau werden können. Aber an welcher Stelle man mit dem Prinzip der Suffizienz ansetzt, ist natürlich ein Aushandlungsprozess. 

Was beinhaltet dieses Prinzip? 

Suffizienz ist sozusagen die «Phase null» eines Bauprojektes. Es gilt zu prüfen, was das Projekt wirklich braucht und was man allenfalls einsparen könnte. Wenn wir vorhandene Strukturen nutzen, sparen wir nicht nur neues Material, sondern vermeiden gleichzeitig unnötigen Abfall. Suffizienz heisst für mich: hinterfragen, reduzieren, vereinfachen. 

Friederike Kluge

Je weniger wir bauen, desto besser.
Dozentin Friederike Kluge im Interviewgespräch.

Gerade in Städten ist es dennoch eine Herausforderung, zukunftsfähig zu bauen. Wo sehen Sie die grössten Hürden? 

Zum einen bestehen die Hürden noch in unseren Köpfen: Zukunftsfähigkeit mitzuplanen, wird immer noch oft als Verlust wahrgenommen, dabei steht der gesamtgesellschaftliche Gewinn über allem. Wir denken oft objektbezogen anstatt gesamtheitlich, insbesondere was die Ökonomie anbelangt. Dabei ist es gerade auch auf der ökonomischen Ebene immens wichtig, einzurechnen, wie hoch die Folgekosten unseres aktuellen Handelns sind. 

Beim Bauen bestehen oft Zielkonflikte. Wie lassen sich diese lösen? 

Wenn wir intensiv an den Problemstellen arbeiten, findet sich meistens eine überzeugende Lösung, die wir auf den ersten Blick nicht gesehen haben. Wir waren davon schon häufig überrascht und sind überzeugt, dass Ideen immer wieder aus Zeitnot zu früh abgetan werden, die einfach noch eine Denkschlaufe mehr gebraucht hätten. Dennoch lassen sich nicht alle Zielkonflikte lösen. Es gilt, zu akzeptieren, dass es sie gibt, und sich mit allen Involvierten auszutauschen, um am Ende eine Lösung zu finden, die möglichst alle wichtigen Themen vereint. 

Ein Zankapfel ist gerade in Städten der öffentliche Raum. Welche Rolle spielen dabei Grünflächen? 

Ich halte sie für enorm unterschätzt. Denn sie bringen auf verschiedensten Ebenen Vorteile. Einerseits im Hinblick auf die Tier- und Pflanzenwelt sowie die Mikroorganismen, andererseits auf ihre kühlende Funktion, die gerade in den zunehmend heisseren Sommern immer wichtiger wird. Und schliesslich ist da auch der psychologische Faktor, dass sich der Mensch zufriedener fühlt, wenn er von Grünraum umgeben ist.  

IWB News
Gut informiert sieht die Zukunft besser aus

Was heisst das für die Stadtplanung? 

Eine zukunftsfähige Stadt muss grüner werden, als es beispielsweise Basel jetzt ist. Im Fokus steht dabei die Frage, was dem Gemeinwohl am meisten nützt. Diesbezüglich denke ich insbesondere auch an vulnerable Gruppen. 

Können Sie dafür ein Beispiel geben?  

An heissen Tagen fehlt es an stark frequentierten Orten oft an Schatten und Sitzgelegenheiten. Für ältere Menschen oder schwangere Frauen kann das gravierend sein. Ich spreche auch aus eigener Erfahrung, als ich hochschwangere Berufspendlerin war. An Bahnhöfen musste ich von einer Treppe häufig 100 oder 200 Meter gehen bis zur nächsten Sitzgelegenheit. Das ist viel, wenn man schlecht zu Fuss ist. Ein einfaches Beispiel, das aber zeigt: Es braucht eine menschzentrierte Stadtplanung.  

Von welchen Städten kann Basel dabei lernen?  

Es ist schwierig zu vergleichen, da Städte unterschiedliche Voraussetzungen mit sich bringen. Aber in einer Stadt wie Kopenhagen merke ich, dass die Planung sehr stark vom Menschen aus gedacht ist, beispielsweise im Hinblick auf Grünräume oder Verkehrsflüsse: Wie bewegen sich Velofahrer und Fussgänger? Welche Räume werden gemeinschaftlich genutzt? Wie können Kinder innerstädtisch aufwachsen? Davon können wir einiges lernen. Dass Basel die Superblocks aus Barcelona im St. Johann- und im Matthäus-Quartier testet, finde ich grossartig. Temporäre Tests helfen im Suchprozess nach der passenden, langfristigen Strategie für Architektur und Stadtplanung.  

Wie gehen Sie mit diesem Suchprozess um?  

Als Tochter eines Naturwissenschaftlers bin ich von Natur aus eine sehr neugierige Person, die interessiert ist, neue Dinge kennenzulernen. Der Suchprozess ist für mich ein freudvolles Experimentieren. Ich versuche umzusetzen, was in meiner Möglichkeit steht. Eine räumliche Lösung zu entwickeln, die verschiedene Interessen unter einen Hut bringt, ist für mich ein wenig wie ein komplexes Kreuzworträtsel. Man muss die Perspektiven wechseln, um die Ecke denken, offen bleiben und gleichzeitig lösungsorientiert sein. 

Als Mitgründerin der Organisation «Countdown 2030» engagieren Sie sich auch nebenberuflich. Was bezweckt diese Plattform?  

Als Kind der 1980er-Jahre bin ich mit dem ökologischen Bewusstsein gross geworden. Irgendwann stellte ich fest, dass ich beruflich über einen riesigen Hebel verfüge, etwas zu bewirken. «Countdown 2030» habe ich zusammen mit unterschiedlichen Personen gegründet, denen es ähnlich ging. Die Plattform soll einen Anschub geben, möglichst schnell zu handeln und architektonische Konzepte im Einklang mit der Zukunftsfähigkeit neu zu denken. 

Zur Person 

Friederike Kluge studierte Architektur an den Universitäten Karlsruhe und Valparaíso (Chile). Sie arbeitet als selbständige Architektin im Architekturbüro alma maki und lehrt seit 2022 am Institut Architektur FHNW in Muttenz. Daneben engagiert sich die Mutter zweier Kinder in der Organisation «Countdown 2030», ist als Expertin und Fachjurorin tätig und unter anderem Mitglied der Stadtbildkommissionen Basel und Bern. 

Was verstehen Sie konkret darunter?  

Ein Beispiel habe ich bereits eingangs angesprochen: den Strukturerhalt. Also mit vorhandener Bausubstanz zu arbeiten anstatt alles abzureissen und neu zu bauen. Ein anderer wichtiger Faktor ist die Nutzflächeneffizienz. In unserem Büro haben wir neun hochwertige Arbeitsplätze geschaffen. Vorher waren es drei. Jetzt profitieren also bis zu dreimal so viel Personen vom selben Platz, indem wir die Räume besser zoniert haben. Die Toilette war beispielsweise an der Fassade platziert, sodass sie zu viel Licht nahm und man das Atelier im Erdgeschoss durchkreuzen musste, um zu ihr zu gelangen. 

Ihre Erfahrungen geben Sie als Dozentin an der FHNW auch einer jüngeren Generation weiter. Wie erleben Sie den gegenseitigen Austausch?  

Er ist sehr motivierend. Viele Studierende denken ganzheitlicher, als ich das in meinem Studium gelernt habe, und die Diskussionen und gemeinsamen Reflexionen empfinde ich als bereichernd. Es macht mir viel Hoffnung, zu sehen, dass eine vernetzt denkende Generation von Architektinnen und Architekten nachfolgt. Jedoch sollte die jetzt bauende Generation nicht alle Probleme der nachfolgenden aufbürden. Denn: Diese Probleme sind dringend. Sie jetzt zu lösen, ist unsere Aufgabe.