Im Gespräch mit Urs von Gunten von der Eawag über Wasserknappheit, Wasseraufbereitung, Wasserqualität – und den Weg zu ihr.
Urs von Gunten, im Sommer 2022 wurde das Wasser in der Schweiz stellenweise knapp. Kommt das künftig öfter vor?
Leider ja. Alle Klimamodelle sehen voraus, dass die Niederschläge in der Schweiz im Sommer tendenziell abnehmen und Hitzeperioden zunehmen. Wenn dann doch einmal Regen fällt, giesst es oft kurz und heftig – sodass die Wasserressourcen nur geringfügig «aufgestockt» werden. Zudem schafft das neue Probleme, weil unsere Kanalisationen diese Spitzen nicht ableiten können und der trockene Boden nicht bereit ist, das Wasser aufzunehmen. Im Winter fällt zwar genügend Niederschlag, aber selbst in den Voralpen tendenziell öfter in Form von Regen und nicht mehr so oft als Schnee. Einerseits findet dadurch sicherlich eine effiziente Grundwasserneubildung statt, andererseits bedeutet das, dass die längerfristige Speicherkapazität des Schnees für den Frühling bis in den Frühsommer teilweise wegfällt. Das hat wiederum Konsequenzen für die Wasserstände in den Flüssen und Seen. Trotzdem werden wir insgesamt auch auf lange Sicht ausreichend Wasser haben in der Schweiz, denn wir haben auch grosse Reserven. Es wird aber vermehrt darauf ankommen, wie das Wasser verteilt wird.
Grosse Reserven? Die Gletscher schmelzen und Schnee scheint es auch immer weniger zu geben.
Die grösste Wasserreserve, rund 150 Kubikkilometer, lagert im Grundwasser. Dazu kommen nochmals rund 130 Kubikkilometer in den grösseren Seen; die Gletscher steuern etwa 57 bei, die Stauseen noch 4. Jährlich fallen rund 60 Kubikkilometer Wasser als Regen und Schnee auf die Schweiz. Davon wird etwa ein Drittel in den genannten Reserven zurückgehalten und kann nachhaltig genutzt werden. Die Wasserversorgungen setzen pro Jahr zusammen gerade mal etwa einen Kubikkilometer um, das sind nur fünf Prozent der speicherfähigen Wassermenge. Vor diesem Hintergrund wird die Schweiz also noch lange das Wasserschloss Europas bleiben. Trotzdem: Engpässe scheinen häufiger zu werden. Müssen wir uns wie beim Strom auch beim Wasser auf «Blackouts» vorbereiten? Zunächst einmal ist eine sichere Wasser- und Sanitärversorgung ein Menschenrecht. Die Schweiz hat sich international dafür starkgemacht, dass eine sichere Wasserver- und -entsorgung in einem eigenen Nachhaltigkeitsziel der UNO verankert wurde. Dank Notfallplänen und grossen Wasserverbundnetzen sehe ich keinen «Wasser-Blackout» auf die Schweiz zukommen. Aber lokal oder regional, etwa im Jura oder gewissen voralpinen Gebieten, können die längeren Trockenzeiten schon einmal besondere Massnahmen erforderlich machen. Deshalb ist es wichtig, dass sich Wasserversorgungen noch mehr vernetzen, um möglichst widerstandsfähig zu werden. Beispielhaft für eine solche Vernetzung ist die Region um die Stadt Zürich, wo mehr als 60 Gemeinden bei Bedarf mit Seewasser versorgt werden können. Generell ist es sicher gut, zu Hause im Sinne eines Notvorrats einige Liter Wasser auf Reserve zu haben. Kühl und dunkel gelagert hält sich das nahezu unbegrenzt.
Sie sprechen «besondere Massnahmen» an. Was meinen Sie damit?
Das können Aufrufe zum Wassersparen sein, Verbote zur Rasenbewässerung oder dass ausnahmsweise ein Reservoir einmal per Tanklastwagen gefüllt werden muss. Mittelfristig könnte dies bedeuten, dass zum Beispiel Stauseen multifunktional genutzt werden. Wasser könnte zusätzlich zur Stromproduktion auch für andere Nutzungen wie die Wasserversorgung oder die Landwirtschaft eingesetzt werden, wenn es im Tal fehlt. Zudem müssten Wasserversorgungen wie erwähnt vernetzt werden, damit in schwierigen Situationen eine Alternative zu den ungenügend vorhandenen Wasserressourcen besteht. Für zahlreiche Wassernutzungen gibt es noch ein ungenutztes Sparpotenzial: Gesammeltes Regenwasser oder wenig verschmutztes Wasser aus der Dusche zum Beispiel kann zum Toilettenspülen oder zur Gartenbewässerung genutzt werden. Wenn solche Massnahmen länger andauern, müssen auch die Verteilnetze für Trinkwasser überdacht werden. Wegen des geringeren Verbrauchs von Trinkwasser aus der öffentlichen Wasserversorgung könnte es dort zu längeren Standzeiten kommen mit Beeinträchtigung der Wasserqualität.
Die Schweiz hat laufend in ihre Wasserinfrastruktur investiert. Auch in die Abwasserbehandlung.
Wie stehen grosse Städte in Zukunft da, die ihr Trinkwasser vor allem aus Oberflächenwasser gewinnen – wie Basel aus dem Rhein – und erst aufwendig aufbereiten müssen?
Die künstliche Grundwasseranreicherung ist ein Verfahren, das in Europa weit verbreitet ist und die natürliche Reinigungsleistung des Bodens mit technischen Verfahren kombiniert. Solche Multibarrierensysteme haben eine grosse Widerstandsfähigkeit und können mit grosser Wahrscheinlichkeit auch zukünftige Probleme gut bewältigen. Allerdings ist zu erwarten, dass in den trockenen Sommern der Abfluss der Flüsse deutlich abnehmen wird. Im Fall des Rheins kann das allerdings relativiert werden: Selbst bei einem extrem tiefen Niederwasserabfluss von 150 Kubikmetern pro Sekunde gelangen nur 2 Prozent des Wassers zur Aufbereitung in den Hardwald und die Langen Erlen. Die Ausgangslage bleibt also gut.
Haben es auf der anderen Seite Berggemeinden mit vielen Quellen einfacher, die Wassermenge und Qualität zu sichern, oder können dort andere Probleme auftreten?
Das Quellwasser hat aus kultureller mythologischer Sicht einen sehr hohen Stellenwert. Es gilt als besonders rein und ist deshalb in der Bevölkerung sehr beliebt. Wer hat nicht schon nach einer schweisstreibenden Wanderung das Wasser einer unberührten Quelle genossen? Allerdings trügt der Schein hier etwas, da vor allem bei starkem Regen das Wasser in Quellen rasch trüb werden kann, was auch aus hygienischer Sicht problematisch sein kann. Zudem beobachten wir gerade bei längeren trockenen Phasen bei vielen Quellen einen starken Rückgang der Wassermenge, was sich auf die Sicherheit der Wasserversorgung negativ auswirkt. Auch in den Bergen braucht es also Massnahmen.
Und wo steht die Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern?
Gemäss der Weltgesundheitsorganisation WHO herrscht in einem Land Wasserknappheit, wenn weniger als 1000 Kubikmeter pro Person und Jahr zur Verfügung stehen. In der Schweiz ist es rund siebenmal so viel. In Libyen dagegen sind es gerade einmal 100 Kubikmeter. Wasser ist also sehr ungleich verteilt. Dazu kommen Länder, in denen es eigentlich ausreichend Süsswasser gäbe, dieses aber so stark verschmutzt ist, dass es für die Bevölkerung kaum nutzbar ist, ausser es wird aufwendig aufbereitet. Leider ist das in vielen Ländern nicht möglich. Im Vergleich steht die Schweiz sehr gut da, denn wir haben laufend in unsere Wasserinfrastruktur investiert, vor allem aber auch in eine gute Behandlung des Abwassers. Die Zeiten, wo auch in der Schweiz Flüsse und Seen zu Kloaken wurden, sind zum Glück vorbei. Aber es war ein langer Weg und es ist noch gar nicht so lange her. Noch 1965 waren erst 14 Prozent der Schweizer Bevölkerung an eine zentrale Kläranlage angeschlossen. Es gibt weltweit wohl kaum ein Land, das so dicht besiedelt und genutzt ist und wo trotzdem in fast jedem See oder Fluss bedenkenlos gebadet werden kann. Und wo viele Gemeinden Grundwasser praktisch ohne Aufbereitung direkt ins Trinkwassernetz einspeisen können.
Sie sprechen von ungleich verteiltem Wasser. Birgt das nicht Konfliktpotenzial?
Wie erwähnt: In der Schweiz wird man sich wohl oder übel in gewissen Regionen zusammensetzen und über die gerechte Verteilung des Wassers reden müssen. Es kann nicht sein, dass in trockenen Sommern ein Golfplatz bewässert wird und deswegen der Dorfbach austrocknet. Oder dass Grundwasserspeicher übernutzt werden, um Spezialkulturen zu bewässern. Doch wie früher im Wallis mit den Kehrordnungen entlang der Suonen werden wir bestimmt Lösungen finden. In anderen Regionen der Welt kann die Verteilung des Wassers tatsächlich zu ernsthaften Spannungen führen, zum Beispiel zwischen Israel und Palästina oder zwischen der Türkei und Syrien. Zumeist geht es aber nicht darum, dass das Wasser nicht für alle reichen würde, sondern weil eine Seite es der anderen vorenthält, um politische oder wirtschaftliche Ziele zu erreichen. Immer wichtiger wird ausserdem der Schutz von Wasserinfrastrukturen vor terroristischen Angriffen. Untersuchungen haben zum Beispiel gezeigt, dass die IT-Infrastruktur von kleineren Wasserversorgungen oft ungenügend gegen Hackerangriffe geschützt ist.
So viel Wasser trinkt kein Mensch, dass ihn das Schweizer Trinkwasser krank machen könnte.
2021 wurde im Zuge der Trinkwasserabstimmungen heftig über die Grundwasserqualität diskutiert. Wie ist die Situation aktuell?
Tatsächlich macht uns in der Schweiz die vom Menschen verursachte Belastung des Wassers mehr Kopfzerbrechen als die Angst vor Dürren. In landwirtschaftlich intensiv genutzten Gebieten finden wir in Bächen und im Grundwasser zu viele Pestizide und oft auch zu viel vom Düngemittel Nitrat. Studien der Eawag haben in Bachwasserproben bis zu 90 verschiedene Wirkstoffe gefunden. Die Konzentrationen überstiegen Werte, ab denen negative Effekte auf Fortpflanzung, Entwicklung und Gesundheit von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen befürchtet werden müssen bis um das 50-fache. Im Grundwasser ist die Situation zum Glück besser, denn der Boden wirkt als guter Filter. Aber Abbauprodukte von Pestiziden und das Nitrat beschäftigen auch die Wasserversorger.
Was kann man dagegen tun?
Der Bund hat mit dem Aktionsplan Pflanzenschutzmittel sowie einem Verordnungspaket «für sauberes Trinkwasser und eine nachhaltigere Landwirtschaft» einen ganzen Strauss an Massnahmen eingeleitet. Beim Nitrat werden wir die Ziele in einzelnen Gebieten wohl nicht ohne eine Reduktion der Tierbestände erreichen. Bei den Pestiziden reicht das Spektrum von Abstandsauflagen beim Pestizideinsatz bis zum Verbot von besonders schädlichen Stoffen. Laufend werden zudem mehr Kläranlagen mit zusätzlichen Reinigungsstufen gegen Mikroverunreinigungen ausgerüstet. Erste Erfolge sind messbar. Aber gewisse Stoffe, wie die Abbauprodukte des inzwischen verbotenen Pflanzenschutzmittels Chlorothalonil, sind sehr langlebig. Das heisst, wir messen sie im Grundwasser noch jahrelang, obwohl die ursprüngliche Substanz nicht mehr verwendet wird. Wichtig ist daher eine gute Vorsorge, also Massnahmen, die verhindern, dass solche Stoffe überhaupt ins Wasser gelangen können. Dazu will der Bund die Kantone verpflichten, dem Grundwasserschutz auch in der Raumplanung mehr Gewicht zu geben – etwa durch das Ausscheiden von Schutzzonen oder Zonen mit strengen Bewirtschaftungsregeln.
Sind denn die gemessenen Werte dieser Abbauprodukte gefährlich für die Menschen?
Bei den Abbauprodukten von Chlorothalonil reden wir von Bruchteilen von Mikrogramm pro Liter. Persönlich denke ich, dass das Trinkwasser nicht der entscheidende Punkt ist, wenn man berücksichtigt, wie viele Stoffe wir mit der Nahrung zu uns nehmen und wie vielen Giften wir im Alltag begegnen. Oder salopp gesagt: So viel Wasser trinkt kein Mensch, dass ihn das Schweizer Trinkwasser krank machen könnte. Zudem sind die Höchstkonzentrationen mit Sicherheitszuschlägen versehen und die Kontrollen funktionieren gut. Trotzdem bleibt das Ziel: Dem Trinkwasser als wichtigstem Lebensmittel ist besonders Sorge zu tragen. Im Grunde wollen wir gar keine Fremdstoffe darin, auch nicht in geringsten Mengen. Wenn die zuvor erwähnten Massnahmen nicht ausreichen, sind daher die Wasserversorger gefordert: Sie müssen das geförderte Rohwasser entweder mit unbelastetem Wasser verdünnen, was nur bei relativ kleinen Überschreitungen der Höchstkonzentrationen funktioniert, oder sie müssen weitere Aufbereitungsschritte in Erwägung ziehen.
Zum Schluss: Was gibt es heute zu Wasser überhaupt noch Interessantes zu forschen?
Keine Sorge, uns wird die Arbeit nicht ausgehen. Denn gerade weil wir in der Schweiz in Sachen Wasserangebot, Wasserqualität und Wasserinfrastruktur so gut dastehen, tragen wir auch eine besondere Verantwortung – sei das nun für die Niederländerinnen und Niederländer, denen wir unser gereinigtes Abwasser via Rhein zuschicken, oder sei das für Länder im globalen Süden, die wir mit Ausbildung und innovativen Konzepten unterstützen. Da gibt es spannende und sehr praxisrelevante Forschung, etwa zu möglichst energiesparenden und effizienten Wasseraufbereitungsmethoden oder zu Sanitärsystemen, die dezentral, ohne aufwendige Kanalisation funktionieren. Zudem tauchen laufend neue Fragen auf, zum Beispiel, wie sich die Klimaveränderung auf die Grundwasserneubildung und -qualität auswirkt. Oder was sich verändert, wenn man einen Fluss revitalisiert, oder wie sich neu entdeckte Stoffe in der Umwelt und in der Wasseraufbereitung verhalten. Antworten aus der Forschung sind auch gefragt, wenn es darum geht, wie negative Folgen der Klimaerwärmung abgefedert werden können. Seen, Flüsse und selbst das Grundwasser sind in den letzten 20 Jahren immer wärmer geworden – das verändert chemische und biologische Prozesse und bringt neue Herausforderungen mit sich.
Erfahren Sie mehr dazu
Das könnte Sie auch interessieren