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Klimadreh
Magazin

Im Gespräch

«Mit möglichst wenig Wasser möglichst viel Service bieten»

Porträt von Max Maurer vor blauem Hintergrund
Fotos: Luca Rüedi, Christian Aeberhard

Mit dem Wasser- und Abwassersystem hat die Schweiz vor rund 50 Jahren ein eindrückliches Infrastrukturwerk geschaffen. Nun gilt es, dieses in die Zukunft zu führen. Max Maurer von der ETH Zürich sagt, wo dabei die Herausforderungen liegen.  

Herr Maurer, wie hat sich unsere Wasserversorgung im Laufe der Zeit verändert?

Auf den ersten Blick gar nicht so sehr. Schon die Römer hatten ein System aus Quellen, Leitungen und Brunnen, das Wasser in die Stadt brachte und dann wieder abführte. Dieses Grundprinzip ist bis heute dasselbe. Was sich verändert hat, sind natürlich die Materialien. Und heute stehen uns ganz andere Technologien zur Verfügung. 

Sie sprechen die Digitalisierung an?

Ja, unter anderem. Sie hilft uns, bessere Informationen zu erhalten darüber, was in unserem Netz passiert. Früher erkannten wir erst, dass eine Leitung ein Problem hat, wenn etwa der Druck sank oder es einen Rohrbruch gab. Heute erkennen Sensoren frühzeitig Veränderungen. In einem aktuellen Forschungsprojekt nutzen wir zum Beispiel die Temperaturdifferenz zwischen Wasser und Erde, um Sensoren in den Leitungen mit Energie zu versorgen. Diese liefern in Echtzeit Daten über den Zustand der Rohre. 

Welche Vorteile bringt dies?

Es ermöglicht uns, von der reinen Bau- und Reparaturmentalität zu einem aktiven Betriebsmanagement überzugehen. Das bringt uns beispielsweise in die Lage, Sanierungen besser zu planen. 

Weniger Lecks dank digitalen Lauschern

Im Rahmen der digitalen Überwachung der Versorgungsnetze hat IWB bereits über 300 Kilometer Versorgungsleitungen mit mehr als 1500 Geräuschloggern ausgerüstet und damit schon über 180 Leckagen aufgespürt. Bis Ende 2025 wird IWB rund 400 Kilometer Versorgungsleitungen permanent auf Leckgeräusche überwachen. Dies erhöht die Versorungssicherheit, reduziert Wasserverluste und senkt die Anzahl Piketteinsätze.

Wie gross ist der Sanierungsbedarf im Schweizer Wassernetz?

Das ist eine der grossen offenen Fragen, auf die wir Experten keine eindeutige Antwort geben können. Wir haben mehr Wasserversorgungen als Gemeinden – eine zentrale Datenbank fehlt. Was wir wissen: Der Wasserverlust ist mit rund 12 Prozent relativ gering. Das deutet darauf hin, dass das System insgesamt gut funktioniert. Aber es gibt enorme Unterschiede zwischen den Gemeinden. Auch hier fehlt uns viel Wissen über den Zustand des Schweizer Leitungsnetzes. 

Wie wird denn heute saniert?

Oft erst dann, wenn etwas kaputtgeht. Viele Gemeinden setzen Sanierungen kurzfristig an, etwa wenn eine Leitung bricht oder sowieso eine Strasse aufgerissen wird. Sinnvoller wäre jedoch eine vorausschauende Infrastrukturplanung. Also eine koordinierte Strategie, bei der die Verantwortlichen verschiedene Infrastrukturbereiche wie Wasser, Strom oder Strassenbau gemeinsam planen. 

Wie weit ist hier die Schweiz?

Einige Städte haben heute schon damit begonnen. Eine gemeinsame Planung ist jedoch aufwendig, da es enorm viel zu koordinieren gibt. In Basel beispielsweise ist oft der Bau von Tramgleisen ein Treiber. Die Wasserversorgung muss sich dann oft diesem Fahrplan anpassen. Gerade in Städten ist deshalb eine übergeordnete Planung wichtig, auch im Hinblick auf die Weitergabe von Know-how.  

Können Sie das genauer erklären?

In der Wasserversorgung und -entsorgung hängt heute vieles von individuellem Erfahrungswissen ab. Viele Fachkräfte sind seit Jahrzehnten in diesem Bereich tätig und wissen genau, wie ihre Netze funktionieren. Wenn sie in Pension gehen oder die Stelle wechseln, geht wertvolles Wissen auf einen Schlag verloren. Deshalb brauchen wir eine strukturierte Planung und Dokumentation, damit dieses Wissen personenunabhängig erhalten bleibt. 

Bild zeigt Prof. Dr. Max Maurer. Er ist Professor für Systeme der Siedlungswasserwirtschaft und Leiter des Instituts für Umweltingenieurwissenschaften an der ETH Zürich.
Prof. Dr. Max Maurer ist Professor für Systeme der Siedlungswasserwirtschaft und Leiter des Instituts für Umweltingenieurwissenschaften an der ETH Zürich.

Welche weiteren Herausforderungen bestehen in der Wasserversorgung?

Im Schweizer Mittelland gibt es grosse Nutzungskonflikte, etwa zwischen der Trinkwasserversorgung und der Landwirtschaft. Dabei stellt sich die Grundsatzfrage, was wir höher gewichten: von Landwirten produzierte Nahrungsmittel oder das Nahrungsmittel Wasser. Aktuell setzen hauptsächlich Bauern und Fischer die politische Agenda, während die Wasserlobby Mühe hat, sich durchzusetzen – auch weil eine solche kaum existiert. 

Warum ist eine solche Wasserlobby wichtig?

Um die Qualität des Schweizer Trinkwassers zu erhalten. Diese ist im Moment sehr hoch. Etwas salopp gesagt, können Sie heute irgendwo in der Schweiz ein Loch bohren und das entnommene Grundwasser zur Trinkwasserversorgung nutzen – ohne aufwendige Reinigungsverfahren. Dieser Qualität gilt es Sorge zu tragen. Denn sauberes Wasser ist mit Abstand die billigste und beste Gesundheitsvorsorge, die wir in unserem Land haben. 

Sie sprechen hier vom Trinkwasser?

Ja, aber nicht nur. Wenn wir von Wasserversorgung sprechen, ist das eigentliche Trinkwasser nur ein kleiner Teil davon. Dafür benötigen wir ungefähr drei Liter pro Person und Tag. Die Wasserversorger liefern jedoch aktuell 140 Liter pro Person und Tag – zum Beispiel fürs Kochen, Duschen oder Waschen. Das sind alles Aspekte, die für unsere Lebensqualität relevant sind. 

Müssten wir in Zukunft nicht sparsamer mit Wasser umgehen, Stichwort Klimawandel?

Grundsätzlich haben wir in der Schweiz genügend Wasser. Pro Kopf fallen jährlich über 6000 Kubikmeter Regen. Das ist viel. In Israel sind es beispielsweise nur ungefähr 600 Kubikmeter. Tatsächlich werden aber durch den Klimawandel unsere Sommer tendenziell heisser, was zu einem sinkenden Wasserstand in unseren Gewässern führt. Je weniger Wasser wir der Natur entnehmen, desto stärker entlasten wir also unsere Flüsse und Seen. Wasser sparen ist so indirekt ein Beitrag zum Gewässerschutz. 

Welche sonstigen Folgen haben der Klimawandel und die Urbanisierung auf die Wasserversorgung?

In den Städten rechnen wir in den nächsten 25 Jahren mit rund 30 Prozent mehr Einwohnern – und das zumeist auf gleicher Fläche. Auch diese müssen wir mit Wasser versorgen. Dies ist eine grosse Herausforderung. Entgegen kommt uns hier der Trend, dass der Wasserverbrauch bereits heute rückläufig ist. Dies hilft, die bestehenden Leitungen trotz Wachstum länger zu nutzen. Trotzdem sollten die Versorger schon heute Strategien entwickeln, um Wasser effizienter zu nutzen. 

Das heisst?

Mit möglichst wenig Wasser möglichst viel Service zu bieten. 140 Liter frisches Wasser pro Person und Tag sind sehr viel – auch hinsichtlich des Energieverbrauchs für das Erwärmen. Wir müssen uns mit Lösungen auseinandersetzen, wie wir die Bedürfnisse der Menschen mit möglichst geringem Aufwand decken. 

Welche Möglichkeiten sehen Sie?

Wir könnten Wasser direkt vor Ort recyceln, es also mehrmals statt nur einmal nutzen. In Kalifornien müssen grosse Gebäude ihr eigenes Wasser bereits teilweise aufbereiten und wiederverwenden. Auch bei der Eawag sammeln wir in einem Teich unser vom Dach abfliessendes Regenwasser – um es dann für die Toilettenspülung wiederaufzubereiten. 

Drohnenblick auf die Langen Erlen.
Die Langen Erlen kennen viele als grüne Lunge von Basel. Doch die Trinkwasserproduktion gibt dem Wald seinen wichtigsten Zweck. Etwa 40 Mio. Liter Trinkwasser werden täglich in den Langen Erlen aufbereitet.

Sie haben ein Beispiel aus Kalifornien angesprochen. Was können wir sonst vom Ausland lernen?

Grundsätzlich steht die Schweizer Wasserinfrastruktur im Vergleich sehr gut da – auch dank unseren günstigen klimatischen Voraussetzungen und dem Gewässerschutz. Vom Ausland lernen können wir, wie wir unsere Netze heute auf die Zukunft vorbereiten. 

Welche Lösungen gibt es schon?

Die Niederlande setzen beispielsweise auf eine Art Baumstruktur der Leitungen, die es erleichtert, den Wasserfluss zu kontrollieren. Die Trinkwasserleitungen befinden sich direkt unter dem Trottoir und können bei Störungen somit sehr schnell repariert werden. Dies könnte auch für die Schweiz eine interessante Lösung sein. Natürlich lässt sich dies nicht von heute auf morgen umsetzen. Aber wir müssen uns ­bereits heute mit solchen Fragen auseinandersetzen. 

Was motiviert Sie persönlich, sich mit diesem Thema zu beschäftigen?

Die Wasserversorgung und -entsorgung ist eines der zentralen Elemente unserer Gesellschaft. Die Wasserinfrastruktur in der Schweiz, die vor 50 Jahren entstanden ist, ist ein Riesenbauwerk, in das die Generation vor uns 230 Milliarden Franken investiert hat – also rund 50 000 Franken pro Haushalt. Unsere Generation profitiert nun davon. Wir müssen alles daransetzen, dass dieses System zukunftsfähig bleibt. Diese Herausforderung treibt mich an.

Zur Person

Prof. Dr. Max Maurer ist Professor für Systeme der Siedlungswasserwirtschaft und Leiter des Instituts für Umweltingenieurwissenschaften an der ETH Zürich. Ausserdem leitet er die Forschungsgruppe Siedlungswasserwirtschaft am Wasserforschungsinstitut Eawag. Die Siedlungswasserwirtschaft beschäftigt sich mit dem Wasserhaushalt innerhalb einer Siedlung. Dies umfasst Trinkwasser, Brauchwasser, Abwasser und Regenwasser.