zum Main Content
Klimadreh
Magazin

Energiegeschichten

Photovoltaik in den Alpen – unterwegs zu AlpinSolar

Blick aus der Vogelperspektive auf eine Berglandschaft. In der rechten Bildhälfte ist ein Stausee zu sehen, auf dessen Staumauer eine Photovoltaikanlage ist.
(K)eine Platzfrage: Die Alpen eignen sich hervorragend für Anlagen wie AlpinSolar (rechts). Wo genau diese hinsollen, muss geklärt werden. (Foto: Alessandro Della Bella)

Viel sauberer Strom auch im Winter: Wer AlpinSolar besucht, sieht, welches Potenzial Photovoltaik in den Alpen hat.

Die Natur geizt nicht, denken wir bereits in der Seilbahn. Ein Murmeltier huscht über die Wiese unter uns, oben schaut neugierig eine Gämse, und weit hinten streckt der Tödi seine eisigen Füsse ins tiefe Tal. Wer sich der grössten alpinen Solaranlage der Schweiz nähert, kommt zwangsweise mit der Bergwelt in Berührung. Hier, im hintersten Teil der Glarner Alpen, zeigt sie sich in aller Schönheit. Wir erreichen die Bergstation und werden von Kuhglockengeläut und fern rauschendem Wasser begrüsst. Die Wanderung beginnt.

Pascal Semlitsch

Leiter Investments erneuerbare Energien

Bis 2050 soll die Schweiz Netto-Null-Emissionen haben. Bis dahin muss noch viel passieren.

Zwei investieren in erneuerbare Energie

Auf dem Weg zur Muttseestaumauer, wo sich AlpinSolar befindet, begleiten uns Christian Heierli und Pascal Semlitsch. Als Investment Manager für erneuerbare Energien haben sie beide den Bau der Solaranlage begleitet – Heierli für die Energieversorgerin Axpo, die das Projekt initiiert hat, Semlitsch für IWB, die als Partnerin das Projekt mitfinanziert und mit ihrem Tochterunternehmen Planeco den Bau realisiert hat. «In den 14 Jahren, in denen ich mich bei Axpo mit erneuerbaren Energien beschäftige, habe ich es mit vielen Technologien zu tun gehabt», beginnt Heierli. «Die Idee, an der Muttseestaumauer eine Solaranlage zu installieren, ist so alt wie der Stausee. 2017 durfte ich das Projekt dann übernehmen.» So beginnt die Geschichte von AlpinSolar.

Zwei Männer laufen auf einem Metallsteg hinter einer Solaranlage hindurch.
Blick hinter die Kulissen von AlpinSolar mit Pascal Semlitsch (links) und Christian Heierli (rechts). Die Panels produzieren auf der Vorder- und auf der Rückseite Strom. (Foto: Alessandro Della Bella)

Perfekter Ort für alpine Photovoltaik

Dass diese Geschichte genau hier im südlichen Glarnerland stattfindet, ist kein Zufall. Seit den 1960er-Jahren produzieren hier die Kraftwerke Linth-Limmern Strom und prägen durch verschiedene Bauwerke die Landschaft. So wie die Seilbahn, die heute beim Aufstieg viele Höhenmeter spart und ihre Vorläuferin, die früher statt Personen Baukräne und Material auf knapp 2000 Meter Höhe transportierte. Das Kraftwerk Linth-Limmern wurde mehrmals ausgebaut, zuletzt 2015 zu einem Pumpspeicherkraftwerk. Für dieses entstand am Muttsee eine Staumauer, die sichelförmig nach Süden schaut. «Schon bei der Planung war klar, dass dies der Ort für eine Solaranlage ist», erklärt Heierli. Denn zur Ausrichtung kommt die Höhe: Auf 2500 Metern ist die Sonne stark und der Nebel selten. Hier kann gerade im Winter besonders viel Strom produziert werden.

 

Liebe auf den ersten Blick

Als Heierli das Projekt übernimmt, gibt es zwei Bedingungen: Die Staumauer muss erst fünf Jahre alleine im Einsatz sein, bevor sie um eine Solaranlage ergänzt wird. So sollen mögliche Fehlerquellen erkannt werden, für die in der Welt der Wasserkraft kein Platz ist. Ausserdem will Axpo nur bauen, wenn ein Partnerunternehmen mitzieht. Das findet Heierli mit IWB. 2020, nach Ablauf der Fünfjahresfrist, kontaktiert er Pascal Semlitsch, der selbst auf der Suche nach Produktionsanlagen mit erneuerbaren Energieträgern ist. Er erinnert sich: «AlpinSolar war Liebe auf den ersten Blick.» Eine Liebe, die rasch Tatsachen schafft: 2021 beginnen die Bauarbeiten; noch im selben Jahr ist die Anlage zum grössten Teil erstellt. Für ihn sei die Motivation, grosse Solarkraftwerke zu erstellen, klar, meint Semlitsch. «Die aktuelle Energie- und Klimapolitik hat als Zeithorizont das Jahr 2050, dann soll die Schweiz Netto-Null-Emissionen haben. Und etwa dann werde ich auch pensioniert. Vorher muss noch viel passieren.»

Steinböcke grasen auf alpiner Wiese. Im Hintergrund ist eine Staumauer mit einer Solaranlage zu sehen.
Die Steinbockkolonie gehört ebenso wie die seltenen Schneehühner zur alpinen Fauna rund um den Muttsee mit seinen Kraftwerksbauten. (Foto: Alessandro Della Bella)

Eine besondere Solaranlage unter besonderen Bedingungen

Der Pfad führt über loses Geröll bergwärts. Langsam drückt die Sonne durch die Nebelschwaden, die feuchten Schieferplatten beginnen zu glänzen. Dass hier oben in den Alpen Solaranlagen entstehen, ist noch neu. Dabei ist das Potenzial hoch. «AlpinSolar ist erst der Anfang», kommentiert Christian Heierli, während der Weg steil ansteigt. Das Problem: Diese Anlage ist unter heutigen Bedingungen nicht wirtschaftlich – im Gegensatz zu herkömmlichen PV-Anlagen auf Dächern oder an Fassaden. AlpinSolar funktioniert nur, weil mit Denner ein Unternehmen gefunden wurde, das sämtlichen Strom abnimmt. Bald sollen sich die Bedingungen jedoch verbessern. Ab 2023 gibt es höhere Investitionsbeiträge für Solaranlagen. Zudem werden die raumplanerischen Rahmenbedingungen gelockert. Was genau das für alpine Solaranlagen bedeutet, ist noch unklar. Klar ist für Christian Heierli jedoch: «Solaranlagen werden in den Alpen mittelfristig nur dort entstehen, wo es bereits Bauwerke, einen Strassenzugang und einen Stromanschluss gibt.»

Christian Heierli

Projektleiter AlpinSolar, Axpo

AlpinSolar ist erst der Anfang.

Die Realität und die nahe Zukunft

Wir erreichen ein Plateau und sehen erste Steinböcke. Unten im Tal zeigt sich der Limmerensee mit seiner eleganten Bogenstaumauer. Und weiter hinten auf der Hochebene sehen wir zuerst den Muttsee glitzern und schliesslich einen schmalen schwarzen Streifen: die Solaranlage. Und wir fragen uns: Irritiert dieser Anblick? Und falls ja, warum nicht derjenige der Stauseen? Pascal Semlitsch bringt ein Argument vor, auf das man in den ewigen Bergen gar nicht kommt: das der Zeit. «Wenn wir die Anlagen in 30 Jahren – oder nach einem Repowering in 60 Jahren – zurückbauen, so wird innerhalb von wenigen Monaten keine Spur der Photovoltaikanlage mehr sichtbar sein. Und wer weiss, welche Technologien wir dann zur Verfügung haben?» Das sei eines von vielen Argumenten für die Solarenergie, aber längst nicht zentral. Christian Heierli ergänzt: «30 Jahre alt sind heute die Panels an der Lärmschutzwand der Autobahn A13 bei Domat/Ems. Und die bringen noch über 80 Prozent ihrer Leistung. Warum also zurückbauen?»

Drei Personen stehen auf einer Staumauer. Unterhalb hängen grosse Solarpanels.
Grosse Solaranlagen werden in den Alpen in Zukunft in der Nähe von Infrastruktur und Stromleitungen zu finden sein. (Foto: Alessandro Della Bella)

Bau ohne Einsprachen

Rückbau hin oder her: Der Bau von AlpinSolar war anspruchsvoll. Das Material wurde per Helikopter auf die Staumauer geflogen und dort zunächst vormontiert. «Wir haben die Anlage nicht hier erstellt, weil es am günstigsten ist», erklärt Christian Heierli, «sondern weil wir wussten, dass sie hier auf jeden Fall bewilligt wird.» Wäre es nach ihm gegangen, hätten auch neben der Staumauer noch Panels aufgestellt werden können. «Einfach, um Erfahrungen zu sammeln. Wir haben es aber nicht vorgeschlagen, um zu vermeiden, dass die Behörden am Ende das ganze Projekt kippen.» So sei AlpinSolar ohne Einsprache realisiert worden. In der Begleitgruppe, in der neben Behörden auch Verbände und Umweltschutzorganisationen waren, habe es keine negativen Stimmen gegeben. Einige hätten das Vorhaben sogar ausdrücklich begrüsst, darunter der SAC, der gleich neben dem Muttsee eine Hütte besitzt.

Grenzen ausloten auf 2500 Metern

Wir erreichen die Terrasse der Muttseehütte, die Solaranlage ist nun genauer erkennbar. Und auch, dass in der unteren Reihe Panels fehlen. «Wir mussten sie abmontieren, weil sich nach der Schneeschmelze Eis gebildet und sie verformt hat», erklärt Pascal Semlitsch. «Das haben wir aber bewusst in Kauf genommen. Die Anlage ist so gebaut, dass wir die Grenzen ausloten können.» Schliesslich habe niemand Erfahrungen mit derart grossen Solaranlagen im Hochgebirge. Während wir die Solaranlage auf der Staumauer studieren, ertönt hinter uns ein fröhliches «Hoi!». Claudia Freitag ist auf die Terrasse getreten, die Hüttenwartin der Muttseehütte.

 

Eine Frau steht vor einem Haus aus Stein und hat die Arme verschränkt.
Claudia Freitag hat in ihrem ersten Jahr als Hüttenwartin die Intensivbauphase von AlpinSolar erlebt. Dabei sind viele Freundschaften entstanden. (Foto: Alessandro Della Bella)

Ingenieurteams und Instagram-Spots

Beim Kaffee erzählt Claudia Freitag, wie sie AlpinSolar erlebt. Sie hat die Muttseehütte im letzten Jahr übernommen und sich damit einen Traum erfüllt. Dass ihr erstes Jahr als Hüttenwartin gleichzeitig auf die Bauphase fallen würde, hat sie vorher nicht gewusst. «Das war schon eine sehr spezielle Zeit. Intensiv, aber auch schön.» Ihr Team hat die Leute von der Baustelle bewirtet, zusätzlich zu Wandergästen, Angestellten des Wasserkraftwerks und Influencerinnen und Influencern, die neuerdings zu einem nahe gelegenen Instagram-Spot pilgern. «Zwischenzeitlich mussten wir Schlafsäle zu Esszimmern umbauen. Dafür haben uns die Leute vom Bau beim Abwasch geholfen. Da sind echte Freundschaften entstanden.»

Abendstimmung neben den Kraftwerken

Es wird Abend. Die Hütte füllt sich; auch wir wechseln an den Esstisch im Innern. Mittlerweile zeigen auch die Gäste Interesse an der Solaranlage, meint Freitag. «Einige haben in den Medien davon gehört und wollen das Ganze nun einmal mit eigenen Augen sehen.» Probleme mit dem Bauwerk habe jedenfalls niemand. «Kraftwerke gehören hier oben schon lange dazu. Ich selbst finde es gut, dass immer jemand in der Nähe ist, der uns in der Hütte bei technischen Problemen helfen kann.» Inzwischen sind die meisten Plätze im Speisesaal besetzt: Leute vom Bau sitzen neben Wandervögeln, ein Team aus dem Wasserkraftwerk neben einer Mannschaft von Planeco. Draussen tummeln sich Steinböcke auf dem Hochplateau, der Hüttenfuchs schleicht vorbei. Nur die Schneehühner, die hier oben ihr Habitat haben, halten sich versteckt. Und während die letzten Sonnenstrahlen die Gipfel streifen und in der Hütte die Teller klappern, hüllt sich der Muttsee ins Dunkel der Nacht. Und mit ihm die Staumauer, die Solaranlage und die anderen Bauwerke, die alle zu einer Silhouette verschmelzen.

 

 

Solarstrom aus den Alpen

3.3 Terawattstunden pro Jahr könnten alpine Solaranlagen kurz- bis mittelfristig liefern. Das sagt eine Studie, die Swissolar und Meteotest 2019 im Auftrag des Bundesamts für Energie erstellt haben. Langfristig liegt das Potenzial laut der Studie sogar bei 16.4 Terawattstunden, etwa ein Drittel des heutigen Schweizer Stromverbrauchs pro Jahr. Das Besondere an alpinen Anlagen ist, dass sie rund die Hälfte ihrer Jahresleistung im Winter erbringen, verglichen mit einem Viertel bei Anlagen im Mittelland. Dafür sorgen die Abstrahlung von Schnee und Eis sowie die Abwesenheit von Nebel. Gerade im Winter wird dieser Solarstrom benötigt, da die Schweiz dann weniger Energie produziert, als sie verbraucht.