
Text: Paul Drzimalla; Fotos: Christian Flierl
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Herr Demiray, seit 2011 gibt es die Forschungsstelle Energienetze FEN der ETH Zürich. Welche Fragen stellte man sich damals, welche heute?
Schon damals hat sich abgezeichnet, dass sich das Energienetz verändert, und dass dies einen Einfluss auf die Versorgungssicherheit hat. Danach kamen Ereignisse wie Fukushima und das Klimaabkommen von Paris und haben die Veränderung beschleunigt. Heute haben wir im Stromsystem einen Paradigmenwechsel: Es gibt nicht mehr wie früher nur grosse Kraftwerke, sondern dezentrale Produktion und mit erneuerbaren Energieträgern wie Sonne und Wind auch mehr Volatilität. Das macht den zeitlichen Ausgleich herausfordernder. Heute braucht das Stromnetz mehr Flexibilität.
Wie sieht das Schweizer Stromnetz von morgen denn aus?
Im Übertragungsnetz, also bei Höchstspannung, hat die Schweiz eine sehr starke Verbindung nach Europa. Dessen Kapazität sehe ich auch in Zukunft als wichtig für die Versorgungssicherheit an. Der Paradigmenwechsel passiert auf der Verteilnetzebene. Heute sehen wir erstens den Trend zur Elektrifizierung von Mobilität und Wärme. Wir werden also einen höheren Stromverbrauch haben. Zweitens sehen wir die sogenannten Prosumer, also Konsumenten, die auch Strom produzieren, etwa mit Photovoltaik. Wenn wir nun in einer Stadt viele Solaranlagen haben und es ein sonniger Tag ist, stellt sich die Frage, wie die überschüssige Leistung lokal gespeichert wird oder in die höhere Spannungsebene kommt. Diese Diskussion wird gerade intensiv geführt, das spüren wir auch bei der FEN.
Was ist denn mit der Behauptung, dass das Stromnetz die Energiewende nicht verkraftet und Photovoltaik und E-Autos es an seine Grenze bringen?
Sie hat zumindest einen wahren Kern. Diese Technologien können ein Stromnetz stark fordern. Aber wir haben andere Technologien, die uns helfen können. Allem voran die Digitalisierung. Wir können – etwa dank Smart Metern – immer mehr Informationen im Stromnetz nutzen. Wenn wir dies intelligent tun, kann das Netz davon profitieren. Wir legen unser Netz immer für die höchste Leistung aus. Wenn es aber weniger Leistung braucht, was dank Flexibilität zu schaffen ist, kann man Investitionen in Leistung vermeiden und die Mittel für andere Lösungen einsetzen. Man kann in Kupfer investieren – oder in Intelligenz.