
Text: Paul Drzimalla; Foto: Nicole Hametner
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Herr Niederberger, die ganze Schweiz redet gerade über Energiepolitik. Allerdings richten sich dabei alle Augen auf Bern und Brüssel. Wie fühlt sich das als Gemeindevertreter an?
Danke, ich fühle mich gut (lacht). Im Ernst: Es ist normal, dass bei Entscheiden von grosser Tragweite vor allem die politischen Machtzentren im Fokus stehen. Dabei besteht ganz grundsätzlich immer etwas die Gefahr, dass in Bundesbern sehr ambitionierte Ziele herausgegeben werden, für deren konkrete Umsetzung dann in erster Linie die Gemeinden zuständig sind. In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns. Das sage ich vor allem als Vertreter des Schweizerischen Gemeindeverbands, der die Gemeinden auf Bundesebene vertritt. Etwas anderes ist es, wenn ich die Sicht einer Gemeinde einnehme. Dort lautet die Frage noch viel deutlicher: Wie sollen wir das schaffen?
Das heisst, die Gemeinden bräuchten mehr Hilfe bei der Energiewende?
Die Gemeinden haben ihren festen Platz in der schweizerischen Energiepolitik und unterstützen seit Jahren still, aber konkret beispielhafte Energieprojekte. Das können Wärmeverbünde sein oder das Gebäudeprogramm, das sie gemeinsam mit den Kantonen betreiben, oder Projekte im Rahmen des Energiestadt-Labels, welches von Kantonen, Städten und Gemeinden getragen wird. Tatsächlich leben heute rund 60 Prozent der Schweizer Bevölkerung in Gemeinden mit Energiestadt-Label. Man kann den Gemeinden jedenfalls nicht vorwerfen, sie hätten das Thema Energieeffizienz verschlafen. Das Gegenteil ist wohl eher der Fall.
Und doch gibt es eine Diskrepanz zwischen dem Ziel und dem Status quo. Etwa, wenn man sich den Sanierungsgrad anschaut oder die Emissionen im Gebäudesektor. Wären da nicht die Gemeinden am Hebel?
Sie haben recht: Man kann nur besser werden, was Gebäudesanierungen betrifft. Ich denke aber, dass wir gerade aufgrund der aktuellen Situation einen Sprung nach vorne erwarten können. Wer effizienter mit Energie umgeht, kann sparen. Das ist ein Urantrieb des ökonomisch denkenden Menschen. Man merkt ja, wie jetzt alle ihre Heizung umstellen wollen. Aber neben der individuellen gibt es auch die politische Dimension: Die Energiewende ist noch nicht überall im Gemeindereglement angekommen. Diese Prozesse sind langwierig. Es hängt oft auch an Personen, die teils jahrelange politische Überzeugungsarbeit leisten. Und dann schaut am Schluss eventuell eine Bauordnung heraus, die auch bei Sanierungen erneuerbare Energien fordert.
Sie sagen, die Energiewende sei noch nicht überall im Gemeindereglement angekommen. Andererseits gibt es den Druck, noch schneller zu dekarbonisieren.
Das ist eine grundsätzliche Frage, wie man politische Ziele erreicht. Ich kann da keine allgemeine Antwort geben. Es braucht sicher das berühmte Zuckerbrot und die Peitsche. Der Markt allein wirds nicht richten. Ich habe dennoch Mühe damit, wenn man Ziele immer enorm zeitnah definiert. Die Politik setzt gerne ambitionierte Ziele. Aber gerade im Baubereich sind sie zum Teil nicht realistisch, weil die Prozesse einfach viel Zeit brauchen. Das sehen wir bei anderen Themen wie der baulichen Verdichtung. Andererseits: Auch wenn die politischen Prozesse langsam sind, gibt es Entwicklungen, die unaufhaltsam sind. Die Elektromobilität ist das beste Beispiel dafür. Wenn die Autokonzerne beschliessen, voll auf diese Technologie zu setzen, ist das wichtiger als jede Gemeindeverordnung. Da schafft der Markt die Tatsachen, und der Staat muss sich nur noch um die Organisation kümmern. Ich habe ein gewisses Vertrauen in die Wirtschaft, die Entwicklungen schafft, die irgendwann einfach normal sind. Ich denke, das wird bei den Heizungen ähnlich sein wie bei der Mobilität. Aber vielleicht nicht in fünf Jahren, sondern in zehn.